Königlich polnische Post
Litauen war, anders als Estland, Livland und Kurland, die schon 1710 als „russische Ostseeprovinzen“ dem Zarenreich einverleibt worden waren, erst nach den polnischen Teilungen 1772, 1793 und 1795 unter russische Herrschaft gelangt.
Es hatte im Russischen Reich nicht die Sonderstellung, welche die nördlicheren Provinzen genossen. Diese waren infolge der jahrhundertelangen Herrschaft des deutsch-baltischen Adels protestantisch und deutsch geprägt, das litauische Gebiet dagegen katholisch und durch polnische Adelige und Großgrundbesitzer beherrscht. Es zählte deshalb bis 1918 nicht zum Baltikum; erst danach wurde das Land aufgrund des ähnlichen Schicksals nach dem ersten Weltkrieg mit Estland und Lettland unter diesen Begriff gefasst.
Durch die Teilungen Polens war das gesamte von Litauern bewohnte Gebiet unter russische Herrschaft gelangt. Hinweise auf die ehemalige Eigenständigkeit verschwanden: Das Gebiet wurde in die Gouvernements Kowno, Wilna, Suwalki und Grodno aufgeteilt.
Ab 1860 setzte eine verstärkte Russifizierungspolitik ein, unter anderem mit der Unterdrückung der litauischen Sprache, einem Verbot litauischer Druckerzeugnisse und der wirtschaftlichen Benachteiligung der einheimischen Bevölkerung. Die Folge war eine massive Auswanderungsbewegung – litauische Kolonien in den USA, Kanada und Australien zeugen noch heute davon.
Im Lande setzte eine lebhafte Untergrundbewegung zur Sicherung litauischer Identität ein, die letztlich in die Unabhängigkeitserklärung vom 16. Februar 1918 mündete.
Untergrundzeitschrift „Auszra“ („Morgenröte“), maßgebliches Organ der Exillitauer. Quelle: Bechstedt, Martin 2011: Litauen. Handbuch der Briefmarken des unabhängigen Staates 1918–1940/41. Teil 2: Die Marken der Litas-Währung 1922–1940/41. S. 241.
1795, als fast das gesamte litauische Siedlungsgebiet unter russische Herrschaft geriet, bestanden im Russischen Reich bereits seit Jahrzehnten staatliche Posteinrichtungen. 1720 war ein „ordentlicher Postbetrieb“ durch kaiserlichen Ukas verfügt und Kurierdienste für Pakete und Schriftstücke eingerichtet worden, ab 1781 sogar mit Geldtransfer.
Der erste russische Poststempel datiert von 1765 in St. Petersburg. Ab etwa 1820 erfolgte der zügige Ausbau des Postliniennetzes per Postkutsche.
Poststationen und -linien auf dem Gebiet Litauens, 1812 (Gouvernementsgrenzen in rot, heutige litauische Grenze in dicker schwarzer Linie).
Quelle: Bubnys, Vygintas & Normantiėne, Julija 2014: Lietuvoje iki 1918 metu. 1 Knyga. S.28.
Die Entwertung der Briefmarken geschah ab 1858 zunächst mit Federstrichen, danach mit Punktnummernstempeln, schließlich mit Datumsstempeln.
Die Punktnummernstempel unterschieden sich durch charakteristische Formen: Gouvernements-Postämter kreisförmig, Bahnhofs-Postanstalten auf den Hauptstrecken sechseckig, Grenzpostämter oval, Kreispostämter viereckig, Postämter in kleineren Städten, Flecken und Dörfern mit vollem Postdienst sechseckig, kleine Poststationen mit eingeschränktem Dienst dreieckig mit gekappten Ecken.
Mustertypen der Punktnummernstempel (Poststation 0 gab es nicht)
Quelle: BALTIKUM-SAMMLER Nr. 129. Juli 1970. S. 3.
Eine ausführliche Darstellung der Punktnummernstempel mit Typen, Ziffern und Postorten findet sich bei Evert Weijman: De puntstempels in het Baltische Gebied. In: Het Baltische Gebied Nr. 70 (2017) Seiten 25-31.
Für das litauische Gebiet sind folgende Punktnummern bekannt:
Da ein kleiner Teil des litauischen Siedlungsgebietes im Königreich Polen lag, stellt ein Stempel aus diesem Bereich auf der Marke Polen Michel Nr. 1 eine Besonderheit dar. Die häufigsten Abschläge findet man aus dem Grenzort Kybartai.
Ganzsachen, also Umschläge und später Karten mit eingedruckten Wertzeichen, waren in Russland bereits 1848 eingeführt worden. Sie spielten auch nach Einführung der Briefmarken 1858 im Postverkehr eine wichtige Rolle. Sie tragen oft gut lesbare Abschläge, so dass man den Postweg gut rekonstruieren kann.
Der Ausbau der Eisenbahnen entwickelte sich rasant, wodurch die Postbeförderung beschleunigt wurde.
Russsiche Reichspost und Bahnpost waren im 19. Jahrhundert getrennt voneinander arbeitende Organisationen. Bahnpostämter und fahrende Postämter bearbeiteten gleichwohl Briefe und Karten der Reichspost, die während der Zugfahrt abgefertigt und mit besonderen ovalen Bahnpoststempeln versehen wurden.
Die Bahnpost stellt somit ein eigenständiges Sammelgebiet mit interessanten Stempeln dar.
Zwischen 1870 und 1904 wurden zunächst die reichsweit bedeutenden Breitspurlinien gebaut und in Betrieb genommen, bevor zwischen 1896 und 1903 die nur regional bedeutsamen Schmalspurlinien in Angriff genommen wurden. Für beide kennzeichnend war, dass sie zunächst weitgehend mit privatem Kapital projektiert, gebaut und betrieben wurden, bevor man im weiteren Verlauf zumindest die Breitspurlinien verstaatlichte.
Der Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 brachte große Veränderungen für das gesamte Baltikum mit sich. Auch im postalischen Bereich gab es weitreichende Auswirkungen: Zensurmaßnahmen aller Art erschwerten den zivilen Postverkehr und mit Feldpost- und Kriegsgefangenensendungen entstand ein umfangreiches neues Betätigungsfeld für die russische Post, bis ab 1915 das Gebiet der späteren Republik Litauen unter deutsche Besatzung geriet.
Anfangs versuchte die russische Post, mittels sogenannter "stummer Stempel" den Abgangsort einer Nachricht zu verschleiern. Bei der Anfertigung wurde planlos improvisiert, Formen aus Kork, Holz, Gummi u.a. geschnitzt. Diese Maßnahme erwies sich rasch als wenig erfolgreich, wenn der Absender seinen Wohnort offen dazu schrieb oder ein Firmenbrief übergroße Adressangaben enthielt. Deshalb war den stummen Stempeln auch keine lange Lebensdauer beschieden.
Drangen russische Truppen Anfang August 1914 zunächst nach Westen auf deutsches Gebiet nach Ostpreußen vor, gelang der deutschen 8. Armee Ende des Monats die Zerschlagung der russischen Kräfte in der Schlacht bei Tannenberg. Der Vormarsch deutscher Kräfte im Laufe des Jahres 1915 führte relativ schnell zur Besetzung des litauischen Gebietes, die mit der kampflosen Einnahme von Wilna/Vilnius am 18. September 1915 ihren vorläufigen Abschluss fand.
Das von deutschen Truppen besetzte Territorium wurde als militärisch verwaltetes „Gebiet des Oberbefehlshabers Ost“ (kurz „Ob. Ost“) eingerichtet und mehrfach verwaltungstechnisch umorganisiert. Die Tätigkeit der zaristischen Post war beendet. Deren Aufgabe übernahm die deutsche Postverwaltung des „Ob. Ost“.
Deutsche Besetzung / Ob. Ost
Unabhängige Republik Litauen
Mittellitauen
Memelgebiet / Klaipėda
Sowjetische Besetzung
Deutsche Besetzung / Ostland
Lagerpost / Litauer im Exil
Unabhängige Republik Litauen
Privatpost in Litauen